Höhenflug* und Bruchlandung*

Zwei Bauten, zwei Städte, zwei Mentalitäten. Die größten deutschen Städte Hamburg und Berlin wollen* hoch hinaus: Hamburg mit der neuen Elbphilharmonie, Berlin mit dem Flughafen BER. Erstere wurde am 11. Januar nach nahezu zehn-jähriger Bauzeit eröffnet, der Start der Flugzeuge vom BER dagegen erneut verschoben.

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Maxim Schulz

Von Lucia Geis

Bereits seit dem 4. November 2016 stehen im Hamburger Hafen an einer der zugigsten* Ecken, die die vom Nordseewind durchwehte Stadt zu bieten hat, Einheimische und Touristen Schlange, um das Wunder der Schweizer Architekten Herzog & de Meuron besichtigen zu können. Wer die über 80 Meter lange, leicht gebogene Rolltreppe durch das Innere hinauffährt, dem pocht* vor Spannung zunehmend das Herz, da er keine Idee hat, wohin ihn die Reise führen wird. Erst im letzten Moment eröffnet sich ein atemberaubendes Panorama: Aus über 30 Meter Höhe blickt man auf den Hamburger Hafen mit Ozeanriesen, Kränen, Kais und Werften*. Das Herz rutscht* einem nun in die Hose, denn die Glasscheibe, die zwischen der inneren Welt der Kunst und der äußeren Welt des Handels liegt, ist unsichtbar. Über eine zweite Rolltreppe erreicht man eine Plaza. Vom Sturm umbraust* offenbart* sich ein Rundumblick auf die Metropole. 789 Millionen Euro hat den Steuerzahler die Philharmonie gekostet – mehr als zehnmal so viel wie geplant –, einen hohen zweistelligen Millionenbetrag spendeten Mäzene. Jahrelang herrschte Empörung*, manchmal gar Verzweiflung, es kam zu Drohungen, Baustopps und mehreren Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen*. Demonstranten schimpften über das „Schandmal* der Reichen“, die Presse über das „Glasmonster“.

Aber nun, da das 110 Meter hohe Gebäude mitten im Hamburger Hafen glänzt und allerorten von Architektur wie Akustik geschwärmt* wird, sind alle im Elbphilharmonie-Fieber. Schon seit November besuchen täglich bei freiem Eintritt bis zu 16000 Menschen die Plaza. Für die Eröffnung der Konzertsäle am 11. Januar mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester wurden nicht nur 1100 Prominente aus Politik, Kunst und Sport geladen. Die restlichen 1000 Tickets verloste man an die Bürger. Wer dennoch nicht zum Kreis der Glücklichen gehörte, konnte das Konzert auf der Fassade als Lichtshow oder in einer Live-Übertragung miterleben. Sogar Vertreter der alternativen Musikszene der Stadt nennen den Bau inzwischen liebevoll „Elphi“ und sehen diese als Bereicherung, die Presse jubelt über den „Jahrhundertbau“. Das lange versprochene Wahrzeichen* scheint wahr geworden zu sein. Als Ironie der Geschichte könnte man es bezeichnen, dass ausgerechnet die Kaufmannsstadt Hamburg damit Mut macht, häufiger größenwahnsinnigen Träumen eine Chance zu geben, statt immer nur über Geld und Nutzen zu reden. Allerdings bleibt ein letztes Risiko: Noch ist nicht sicher, ob die Bewohner der bis zu 12 Millionen teuren Luxuswohnungen im Innern des Gebäudes nicht über den Lärm der täglich hereinströmenden Bürger, die dasGanze bezahlt haben, jammern*.

Viel Lärm um Nichts

Um möglichen Lärm ging es auch beim Bau des Berliner Großprojekts „Flughafen Berlin Brandenburg“ (BER) immer wieder. Nach der Wiedervereinigung wurde beschlossen, dass die neue Hauptstadt Berlin auch einen standesgemäßen* Flughafen bräuchte. Teilungsbedingt hatte der Westteil der Stadt die beiden innerstädtischen Airports Tegel und Tempelhof, die ganze Stadtteile in lärmgeplagte* Quartiere verwandelten, der Ostteil den am Stadtrand liegenden Flughafen Schönefeld. Im September 2006 begannen die BER-Bauarbeiten, zehn Jahre danach behauptete die Berliner Morgenpost, inzwischen denke man nur noch an „Baustelle, Verzögerungen, Pannen*, Pein-lichkeiten“, wenn man von dem einst als modernstem Flughafen Europas euphorisch angekündigten Vorhaben* höre. Schon seit der gescheiterten Eröffnung 2011 herrscht Katerstimmung* und die Berliner glauben an gar nichts mehr. Denn die Baukosten stiegen von geplanten 2 Milliarden auf weit über 5 Milliarden, Verantwortliche wurden gefeuert*, die Baustelle stand zeitweise still, das Fluggastterminal wurde umgebaut, Genehmigungen blieben aus. Bürgerinitiativen kämpften gegen die geplanten Flugrouten über den wohlhabenden Berliner Südwesten, während die Bewohner von Tegel über rapide zunehmenden Fluglärm klagen. Denn dort starten und landen von Jahr zu Jahr mehr Flugzeuge, damit sich die Mobilitätsbedürfnisse der Hauptstadt befriedigen lassen. Den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit kostete* das Desaster 2013 sein Amt. Seit Dezember steht die für 2017 angekündigte Eröffnung erneut zur Disposition.

Und die Berliner? Sie spenden* dem Ganzen nur noch Hohn und Spott und fahren mit der ihnen eigenen „Ist-doch-egal-Mentalität“ zum nahen, übersichtlichen und deshalb geliebten Flughafen Tegel oder in rumpeligen* S-Bahnen ins 20 Kilometer entfernte Schönefeld. Dort hat sich inzwischen aufgrund der steigenden Passagierzahlen und der Billig-Airlines ein Labyrinth aus Containern gebildet, das eher einer Flüchtlingsunterkunft als einem Flughafen gleicht. Aber irgendwie sind ja auch Fliegende Flüchtende. Und einfacher als zu Mauerzeiten ist es allemal*, der Stadt zu entfliehen, sei es auch nur, um ein Konzert in Hamburg zu hören, wo man im Übrigen mit dem Zug schneller und ohne Bruchlandung ankommt als mit dem Flugzeug, auch nach 2018, 2019, 2020. Vielleicht freuen die Berliner sich dann aber auch auf ihr neues Museum des 20. Jahrhunderts, das die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron nun in der Hauptstadt gleich neben der Philharmonie bauen sollen. Zur Zeit schimpfen sie darüber.

Aufgaben

1. Im Text steht das Wort „Schandmal“. Nennen Sie weitere Nomen mit „-mal“. Welche Idee ist diesen gemeinsam?
2. Bestimmen Sie den Kasus der Nomen im Satz „Klaus Wowereit (a) kostete das Desaster (b) sein Amt (c)“

*Lesehilfe

der Höhenflug: (metaphorisch) Euphorie
die Bruchlandung: schlechte Landung eines Flugzeugs, (metaphorisch) Scheitern
hoch hinaus wollen: ehrgeizig sein
zugig: unangenehm windig
pochen: schlagen
die Werft: Ort zum Schiffsbau
das Herz rutscht in die Hose: man erschreckt sich
umbraust: von starkem Wind umgeben
sich offenbaren: sich (unerwartet) zeigen
die Empörung: starke Wut
der Parlamentarische Untersuchungsausschuss: Gruppe von Parlamentariern, die Fehler der Regierenden aufklärt
das Schandmal: sichtbares Zeichen für etwas Schlechtes
schwärmen: begeistert über etwas sprechen
das Wahrzeichen: sichtbares Symbol
jammern: seine Unzufriedenheit emotional zeigen
standesgemäß: dem Status entsprechend
geplagt: stark gestört
die Panne: Fehler, technischer Schaden
das Vorhaben: Plan, Idee
die Katerstimmung: Enttäuschung
jdn. feuern: entlassen
es kostet ihn sein Amt: er verliert sein Amt
Hohn und Spott spenden: etwas lächerlich machen
rumpelig: holprig, (hier) unangenehm
allemal: in jedem Fall

 

 

 

 

 

 

 

 

Lösungen

1. Denkmal, Mahnmal, Ehrenmal, Muttermal, Feuermal; die Idee der Erinnerung; 2. a: Akkusativ, b: Nominativ, c: Akkusativ

Tolles Diktat 2024
 
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